Bericht über die Ukraine Hilfe des AWO Kreisverbandes

Von Arzberg nach Medyka an der polnisch/ukrainischen Grenze

Am Montagfrüh, vier Tage nach dem Start des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, begrüßt mich Alexander Wagner, ehrenamtlicher Kreisvorstand, mit den Worten „Hanna, wir fahren noch diese Woche Hilfsgüter an die Grenze. Ich brauche aktuelle Infos von dir und muss wissen, ob wir auch Geflüchtete mitbringen können!“ Am gleichen Tag wurden Warenlisten zusammengestellt, Fahrer*innen gefunden, Unterstützung von AWO International zugesichert und eine Kooperation mit dem Edeka-Zentrallager geschlossen. Dienstagnachmittag brachte Edeka die bestellte Ware zum AWO Haus nach Arzberg und eifrige Helfer*innen haben angefangen die Paletten auszupacken. Den ganzen Mittwoch haben über 30 ehrenamtliche Helfer*innen Waren im Wert von 12.000€ sortiert und auf Taschen verteilt und schließlich waren 650 Hygiene- und Lebensmittepakete gepackt, in Kisten verstaut und in drei Transporter geladen. Und um 21 Uhr ging es für sechs ehrenamtliche Fahrer*innen, eine davon Beauftragte von AWO international, los an die polnisch/ukrainische Grenze nach Medyka. Geplant war hier am Donnerstagmorgen anzukommen und die Taschen an geflüchtete Frauen und Kinder zu übergeben.

Aber so einfach war das gar nicht, denn die Lage vor Ort war eine andere und nur wenige Fußgänger*innen mit Kindern kamen über die Grenze. Das Team der AWO Wunsiedel hat dann, mit lokalen aktuellen Infos versorgt, den Ort Przemysl angefahren. Hier wurden die Taschen umgeladen und direkt mit einem LKW in die Ukraine transportiert. Das Team hatte den Eindruck, dass es zwar genug Versorgung für alle in Not gab, aber alles chaotisch organisiert war. Die Versorgungslage in der Ukraine wurde dagegen als kritisch vermittelt. Dieser Eindruck ist eine Momentaufnahme vom 3. März gewesen, wohlwissend das sich die Lage permanent ändert.

Eine, die den Transport gefahren hat, ist Merisa: „Am Bahnhof in Przemysl gab es warmes Essen und Helfer*innen, daher haben wir uns spontan umentschieden. Die lokalen Kontakte von uns haben dann den Weitertransport am gleichen Tag über die Grenze organisiert. Das hat super gut geklappt!“ Geplant war ursprünglich auch Frauen und Kinder aus der Grenzregion auf deren Wunsch nach Oberfranken mitzunehmen, aber daraus wurde nichts, denn die meisten warteten entweder auf Züge Richtung Westen oder hatten schon Kontakt zu Verwandten aufgenommen.

Mit den Eindrücken und Kontakten zu den lokalen Hilfsstrukturen im Aufbau vor Ort versorgt, erreichte am Samstag den 5.3. ein zweiter Transport mit 150kg Obst und 600kg Wurstwaren die Küche einer Geflüchtetenunterkunft im polnisch-ukrainischen Grenzort Medyka. Die Helfer*innen waren überwältigt von der Situation an der Grenze und vor allem in der Unterkunft, aber vor allem waren sie froh helfen zu können, so schildern sie es später, müde nach einer mehr als 24-stündigen Tour zur Grenze und zurück.

Seitdem fährt jede Woche ein Kleinbus beladen mit medizinischen Hilfsgütern und Babynahrung die gleiche Strecke, in Przemysl wird dann mit Hilfe der örtlichen Feuerwehr umgeladen und die Ware in die Ukraine weitergeleitet und erreicht so Teile der notleidendenden Bevölkerung in der Ukraine. Eine mittlerweile eingespielte Sache, die vor Ort an der polnisch/ukrainischen Grenze auf viel Dankbarkeit stößt und auf die unsere Kontaktleute vor Ort jedes Mal warten. „Wir bekommen mittlerweile von unseren lokalen Kontakten im Grenzgebiet konkrete Listen mit Medizinprodukten, da wird alles gebraucht von Tabletten, über Verbandsmaterial und Spritzen, deswegen organisieren wir weitere Transporte in die Grenzregion und weiter in die Ukraine“, sagt Alexander Wagner, der die ganze Ukraine-Hilfe im Kreisverband koordiniert. Er ist der Meinung, so lange ehrenamtliche Fahrer*innen bereit sind zu fahren und Ware beschafft werden kann, organisiert der Kreisverband diese Form der solidarischen Unterstützung und Nothilfe.

Noch während der ersten Tour in die Grenzregionen setzte sich Alexander Wagner vehement dafür ein, dass das bayrische Innenministerium zusichert, dass Geflüchtete nicht nur in sogenannten Ankerzentren registriert werden können, sondern auch in den nahegelegenen Landkreisämtern. „Warum sollen diese Frauen denn aus Arzberg zweieinhalb Stunden nach Bamberg fahren und dann wieder zweieinhalb Stunden zurück, nur um Fingerabdrücke abzugeben? Dass kann doch in einer solchen Notlage nicht sein!“ empörte sich Wagner und bat um Unterstützung des AWO Landesverbandes. Zwar gab das bayrische Innenministerium dann grünes Licht für die dezentrale Registrierung in den Landratsämtern, aber zumindest das Landratsamt in Wunsiedel hat bis Mitte März gebraucht, um dieses Verfahren auch umzusetzen. „Insgesamt scheint es nicht so, als wären die Behörden gut aufgestellt oder hätten aus 2015 langfristig gelernt. Da wird noch einiges an Arbeit auf uns zukommen!“, so Wagner.

Bei den letzten beiden Fahrten wurden dann doch auch Geflüchtete aus der Ukraine mitgenommen. „Es sind so viele Menschen, die das Grenzgebiet verlassen wollen und es ist mittlerweile auch sehr gut organisiert vor Ort“, sagt Caro vom AWO Ortsverein Arzberg. Sie hat ehrenamtlich die dritte Tour gefahren und auf der Rückfahrt Oleh, Irina, Raisa und Anastasya mitgenommen. Um sie fahren zu dürfen, haben sie und ihr Kollege sich mit Passangaben und dem Autokennzeichen registrieren lassen müssen und bekamen wenig später am provisorischen Sammel- und Verteilpunkt, einem Tesco Supermarkt, das ältere Ehepaar sowie Mutter mit Tochter vorgestellt. Es hat gepasst und geklappt. „Gut, dass hier drauf geschaut wird, wer sich hier anbietet und Frauen abholt, denn man liest mittelweile viel von unlauteren Hilfsangeboten bis hin zu Menschenhandel“, so Caro. Alle vier Geflüchtete sind im Landkreis Wunsiedel übergangsweise in einer Ferienwohnung untergekommen. Aber wie es weitergeht gestaltet sich kompliziert, denn nicht nur in Arzberg herrscht ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Am 18. März ist der nunmehr vierte Transport nach Arzberg zurückgekommen, diesmal brachten Uli und Martina zwei Frauen und drei Kinder mit, die eine lange schmerzvolle Odyssee hinter sich haben und froh waren, mit zwei deutschen Frauen das Krisengebiet verlassen zu können. Auch hier ist die AWO dabei die weitere Perspektive zu klären, aber erst einmal sind auch diese fünf Menschen in Sicherheit.

Für Merisa war die Fahrt an die Grenze zwar ein wichtiger Aspekt gelebter Solidarität, aber für sie ist auch wichtig jetzt keine Zeit zu verlieren: „Es braucht nicht nur eine schnelle und unkomplizierte Aufnahmepolitik für Menschen auf der Flucht aus der Ukraine, sondern diese Aufnahmebereitschaft und Einigkeit in Europa muss genutzt werden, um die gesamte europäische Grenz- und Migrationspolitik neu aufzustellen. Denn während die EU im Fall der Ukraine schnell handelt, bestehen die humanitären Krisen im Mittelmeer, auf Lesbos und an den EU-Außengrenzen.“